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»Zeig, was dich besonders macht!«

Evaluationsergebnisse zum Mitmach-Parcours »komm auf Tour«

Das Projekt »komm auf Tour – meine Stärken, meine Zukunft« der BZgA und ihrer regionalen Partner wird seit 2016 für neu zugewanderte Jugendliche modifiziert und erprobt – ein Zwischenbericht.

»Komm auf Tour« (kat) ist ein handlungsorientiertes Angebot zur Entdeckung persönlicher Stärken, Berufsorientierung und Lebensplanung, das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, Projektentwicklung) mit landes weiten bzw. regionalen Partnerinnen und Partnern bundes weit umgesetzt wird (www.komm-auf-tour.de).

Seit 2006 richtet sich das Projekt, das in Kooperation mit der Kölner Agentur Sinus durchgeführt wird, an die Klassen 7 und 8 aller Schulformen und erreicht jährlich mehrere Zehntausend Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern und Lehrkräfte. Die Jugendlichen entdecken in einem außerschulischen Erlebnisparcours ihre Stärken, erhalten Orien tierungshilfen für Praktika und erfahren, welche realisierba ren beruflichen Möglichkeiten sie haben. Sie werden spielerisch für verschiedene Lebensmodelle sensibilisiert und setzen sich geschlechtersensibel und altersgerecht mit den Bereichen Verhütung und Sexualität auseinander.

Kat in der bisher eingesetzten Variante bietet bereits gute Voraussetzungen für eine Arbeit mit neu zugewanderten Jugendlichen, da es grundsätzlich zielgruppen-, kultur- und geschlechtersensibel angelegt ist und Jugendliche aus allen sozialen Milieus und mit allen Begabungen erfolgreich integrieren konnte. Aufgrund der wachsenden Anzahl neu zugewanderter Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland starteten die BZgA und die Regionaldirektion Berlin- Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit ein Modellprojekt. Im Rahmen dessen wurde im Land Brandenburg im Zeitraum von August 2016 bis Juli 2018 der klassische »komm auf Tour«-Ansatz an die neue Zielgruppe angepasst und erprobt. In diesem Kontext fand auch eine Evaluation im Rahmen eines Workshops mit Schülerinnen und Schülern aus Willkommensklassen in Berlin statt. Es galt zu überprüfen, ob die Sachverhalte und Themen den Bedürfnissen, dem Entwicklungsstand und dem kulturellen Hintergrund entsprechen, den diese besondere Zielgruppe mitbringt. Parallel veranlasste die Berliner zgs consult GmbH im Auftrag der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales eine Qualitätssicherung mit folgender übergreifender Fragestellung: Wie kann der Parcours von kat, inklusive der verwendeten Methoden, Aufgaben und Materialien, so optimiert werden, dass er bestmöglich an die Bedarfe der neuen Zielgruppe angepasst ist?

Im Folgenden werden die Erfahrungen, Anpassungen und Veränderungen des Konzepts »komm auf Tour für neu zugewanderte Jugendliche« aufgezeigt.

Übergeordnete Kommunikationsziele in Bezug auf neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler sind:

• Jeder Mensch hat Stärken. Hab Respekt davor, was du schon alles kannst, und entdecke deine Stärken!
• Nutze die Ressourcen, die dir zur Verfügung stehen, und gehe deinen Weg.
• Mädchen und Jungen, Frauen und Männer sind gleichberechtigt.
• Es ist wichtig, dass du gut Deutsch lernst.
• Eine Ausbildung ist ein guter Einstieg ins Berufsleben!

Begrüßt und eingeführt in das Thema »Stärken und Zukunft« werden die Jugendlichen mit den zentralen Botschaften »Willkommen, heute und hier bei ›komm auf Tour‹. Egal, wo du herkommst und wo du hingehst, wir freuen uns, dass du heute hier bei uns bist« und »Entdecke, was du kannst! Wir freuen uns, wenn du zeigst, was dich besonders macht!«

Im Labyrinth zum Thema »Orientierung für den eigenen Berufs- und Lebensweg finden« werden ihnen vor allem Zugänge zu Hilfesystemen in der Berufsorientierung und Lebensplanung sowie Bewältigungsstrategien im Umgang mit Stressoren vermittelt. Das Thema Praktikum zur Orientierung bei der Berufswahl wird in der Moderation prominent platziert. An dieser Station geht es vor allem um das Thema »Gestaltung von (Lebens- und) Arbeitswelten in Gegenwart und Zukunft«. Die Jugendlichen reflektieren die Vielfalt von Biografien und werden ermutigt, im Verlauf des Parcours selbstständig aus diesen zu wählen. Sie werden für das duale Ausbildungssystem motiviert und lernen, dass die deutsche Sprache hierfür eine Kernkompetenz ist. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Teil von Gleichberechtigung wird besonders thematisiert. Dabei sind folgende Kernbotschaften relevant:

• Es ist wichtig, dass du schnell und gut Deutsch lernst! Erkenne deine persönlichen Stärken und entscheide dich für eine qualifizierende Ausbildung!
• Familie und Beruf schließen sich nicht aus – wenn man möchte, kann man beides im Leben verbinden.

In der »sturmfreien Bude« wird das Thema Selbstbestimmung und Chancengleichheit in Lebens- und Arbeitswelten reflektiert und mit den Jugendlichen auf unterschiedliche Kontexte wie Aufgabenteilung im Haushalt, Berufschancen und Sexualität übertragen. Vermittelte Kernbotschaften sind:

• Mädchen und Jungen, Männer und Frauen: alle haben gleiche Rechte in Deutschland.
• Du kannst vielleicht mehr, als du weißt – probiere dich auch in ungewohnten Tätigkeiten aus!

An der Station »Bühne« werden Lebens- und Arbeitswelten inszeniert. Die Jugendlichen probieren sich auf der Bühne aus und stellen sich der Aufgabe, sich vor anderen zu zeigen. Sie realisieren, dass es viele Situationen im Leben gibt, in denen sie sich präsentieren müssen. Hierbei geht es insbesondere um die Relevanz klassischer Umgangsregeln in Deutschland mit den Kernbotschaften:

• Jeder Mensch ist einzigartig und besonders, trau dich und zeig dich!
• Zeige deine Umgangsformen in Deutschland – es wird dir beruflich und privat gut tun!

Qualitätssicherung

Bei der Gesamtauswertung des Parcours stehen die Stärken, die Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie die Positionierung des Praktikums im Vordergrund. Die Jugendlichen werden bei der Entwicklung beruflicher Perspektiven unterstützt, indem sie die eigenen Stärken mit möglichen Berufsfeldern verbinden und erkennen, welche beruflichen Wege für sie tragfähig sein könnten.

Im Rahmen der Qualitätssicherung wurden

1. spezifische Botschaften und Haltungen für den Parcours mit neu zugewanderten Jugendlichen formuliert,

2. im zweiten Halbjahr 2017 eine Befragung von 151 Jugendlichen sowie ausgewählten Personen aller beteiligten Akteure (Moderierende, »Reisebegleitungen«1, Lehrkräfte und Kooperationspartnerinnen und -partner) durchgeführt und

3. der Parcours auf der Grundlage der Befragungsergebnisse modifiziert.

Zentrale Ergebnisse der Befragungen

Die Durchführung mit gemischtgeschlechtlichen Gruppen funktioniert auch mit den neu zugewanderten Jugendlichen. 85 % der Schülerinnen und Schüler geben an, dass sie sich in gemischtgeschlechtlichen Gruppen wohlfühlen; in ihrer speziellen Gruppe haben sich 81 % wohlgefühlt. Auch hat 71 % die Teilnahme an kat gut bis sehr gut gefallen: »Die Gruppenenergie am Anfang ist außerordentlich hoch. Hohe Aufmerksamkeit und Wertschätzung« (Moderierende).

An allen Stationen nutzen im Durchschnitt etwa 10 % der Schülerinnen und Schüler das Angebot der Sprachmittlung. Darüber hinaus haben die Befragungen ergeben, dass die Kommunikation gut gelingt und auch die Anzahl der anwesenden Sprachmittlerinnen und Sprachmittler angemessen ist. Diese sollten jedoch stärker in die Vor- und auch Nachbereitung der Parcourstage einbezogen werden, um die Botschaften von kat intensiver kennenzulernen. Ein wesentliches Ziel bei der neuen Zielgruppe ist die Botschaft, dass der Erwerb der deutschen Sprache für die Jugendlichen unerlässlich ist, ist sie doch die Grundvoraussetzung für ein Leben in Deutschland. Nach dem Parcoursbesuch sind 93 % der Schülerinnen und Schüler davon überzeugt, dass es wichtig ist, die deutsche Sprache zu erlernen.

Die spezifische Situation von neu zugewanderten Jugendlichen macht die wertschätzende Rückmeldung zu ihren Stärken essenziell. Hier zeigt sich ein positives Bild. Nahezu alle Jugendlichen erinnerten sich an ihre eigenen Stärken, die sie im Parcours gezeigt hatten. Auch entdeckten 52 % neue Stärken bei sich selbst und 64 % wussten nach dem Parcoursbesuch mehr über sich und ihre Stärken. »Schülerinnen und Schüler sind sehr stolz, die gesamte Gruppe applaudiert, wenn einzelne Stärken verteilt werden.« (Moderierende). Ein Teil von ihnen ist jedoch im Zusammenhang mit den eigenen Stärken unsicher: 24 % geben an, nicht sicher zu sein, ob sie Neues über sich und ihre Stärken erfahren haben. 22 % wissen nicht, ob sie neue Stärken an sich entdeckt haben.

Die Befragung zeigt, dass die neu zugewanderten Jugendlichen einen erhöhten Informationsbedarf bei den Themen Praktikum, Ausbildung und Studium haben. Die Stationen werden daraufhin überprüft und ggf. angepasst. Die Stärken werden enger mit konkreten Berufsfeldern verknüpft. Auch wird ein Informationsblatt mit geeigneten Ansprechpart nerin nen und -partnern, wie etwa der Fachkraft für Geflüch te te und dem Jugendmigrationsdienst der Agentur für Arbeit, entwickelt.

Das Thema Gleichberechtigung wird vom Großteil der Jugendlichen gut verstanden und aufgenommen. Dennoch zeigen die Befragungen, dass diese Themen im Parcours stärker gesetzt werden müssen: Die Aussage »Frauen und Männer können sich gleichermaßen um Kinder und Haushalt kümmern« verneinen immerhin 7 % der Schülerinnen und Schüler und 17 % sind sich nicht sicher. Auch meinen 8 %, dass Frauen nicht arbeiten gehen können, und hier sind 5 % unsicher (s. Abb. 1).

Abb. 1 Gleichberechtigung

Auch bei den Themen Liebe, Sexualität und Verhütung zeigen die Schülerinnen und Schüler Unsicherheiten. 29 % wissen nicht, ob sie sich für diese Themen interessieren, und 31 % interessieren sich nicht für die Themen. 34 % wissen nicht, ob Mädchen oder Jungen für Verhütung zuständig sind, und 11 % verneinen die beiderseitige Zuständigkeit. 24 % wissen nicht, ob sie sich eigenständig für eine/n Partner/in entscheiden möchten, und 7 % verneinen dies. Da sich jüngere Jugendliche stärker für die Themen Liebe, Sexualität und Verhütung interessieren, sollen entsprechende Informationen noch besser für diese Zielgruppe aufbereitet werden.

Alle Moderierenden, Reisebegleitungen sowie Kooperations partnerinnen und -partner bewerten den Umgang mit Themen mit Konfliktpotenzial als sehr gut. Die Qualitätssicherung zeigt deutlich, dass das Konzept von kat mit der feinfühligen Herangehensweise und dem spielerischen Rahmen auch bei sensiblen Themen sehr gut funktioniert.

Insgesamt sollten alle Stationen, inklusive der Aufgabengestaltung sowie der Moderation, auf eine einfache Sprache hin geprüft werden. Hilfreich sind hier das Verwen den von bildhafter Sprache, haptischem/visuellem Material und eventuell das Übersetzen der Botschaften in mehrere Sprachen.

Qualifizierung der beteiligten Akteure

• Bei kat nehmen die Moderierenden eine zentrale Rolle ein; sie sind im dauerhaften Kontakt mit den Jugendlichen und vermitteln die Botschaften. Die Qualitätssicherung hat gezeigt, dass die Moderierenden einer speziellen Schulung zur Kommunikation mit interkulturellem Schwerpunkt bedürfen.
• Nahezu alle Materialien zur Nachbereitung wurden von den Lehrkräften als äußerst positiv und qualitativ hochwertig bewertet.
• Auch die Reisebegleitungen stufen ihre Vorbereitung als wertvoll und umfassend ein.
• Alle Kooperationspartnerinnen und -partner begrüßen die neue Ausrichtung des Parcours auf die Zielgruppe der neu zugewanderten Jugendlichen. Auch loben sie das Informationsmaterial, das sie zur Vorbereitung erhalten, als »passend«, »verständlich«, »anschaulich« sowie »informativ«.

Ergebnis der Qualitätssicherung ist, dass kat auch der besonderen Zielgruppe der neu zugewanderten Jugendlichen positive Impulse gibt. Insbesondere der interaktive und spielerische Ansatz wird vielfach gelobt: »Ich war das zweite Mal mit einer Willkommensklasse bei kat. Die Schülerinnen und Schüler sind über die ganz andere Art von ›Unterricht‹ begeistert« (Lehrer).

Dennoch hat die Qualitätssicherung an der einen und anderen Stelle den Bedarf an Modifikationen offengelegt. Diese werden im Zuge der aktuell laufenden Weiter- und auch Neuentwicklungen des Parcours für neu zugewanderte Jugendliche umgesetzt.

Erfahrungen mit den neu zugewanderten Jugendlichen im Partizipationsprozess

Die Jugendlichen haben insgesamt – im Gegensatz zu manchen Fachkräften – wenig Berührungsängste mit dem The menfeld »Lebensplanung und Sexualität«. Vielen der Jugendlichen scheint das Konzept »Lebensplanung«, ins besondere für den privaten Bereich, bisher allerdings kaum bekannt zu sein. Eine eigenständige Übertragung bei der Beschäftigung mit dem Themenbereich an den Stationen nehmen sie eher nicht vor, finden es aber interessant, wenn es explizit mit ihnen besprochen wird.

Es herrschte, besonders bei den jungen Frauen, ein großes Interesse an sexualitätsbezogenen Themen wie z.B. freie Partnerwahl und Beziehungsgestaltung. Trotz Klärung des rechtlichen Rahmens in Deutschland blieb es für einige Teilnehmende ein Fakt, dass sie ihr Leben nicht ohne die Einwilligung ihrer Eltern gestalten könnten. Dies kann als Hinweis gedeutet werden, dass die Konzepte »Recht« und »Familie« für einige Jugendliche eine andere Bedeutung haben, als dies im Parcours aufgezeigt wird. So bedarf es z.B. erst eines Konzepts von »Recht«, um ein bekanntes Recht mit einem neuen Recht vergleichen zu können.

Eine Herausforderung in der Arbeit mit den geflüchteten Jugendlichen ist die große Heterogenität der Gruppen. Während für einige ein Parcours in einfacherer Sprache sinnvoll wäre, sind andere dabei, denen es lediglich (noch) an sprachlichen Ausdrucksmitteln fehlt.

Die (Un)Verbindlichkeit der Gruppen bei der Anmeldung stellt die Flexibilität der Projektdurchführenden vor eine große Probe, da die Gruppen oft kleiner/größer als geplant sind und sich die Kommunikation bzgl. der Teilnahme im Vorfeld oft schwierig gestaltet. Die Moderierenden benötigten, obwohl sie über langjährige Erfahrung verfügen, Schulungen in Leichter Sprache und interkultureller Gruppenarbeit.

Eine Einbindung der Eltern und Erziehungsberechtigten, die im regulären Parcours außergewöhnlich gut funktioniert, ist nicht gelungen, da das Angebot nicht angenommen wurde.

Das vorhandene Material für Jugendliche eignet sich nicht für die neu zugewanderten Jugendlichen. Es wird aktuell zusätzliches Printmaterial in einfacher Sprache und in mehreren Übersetzungen erstellt.

Weitere Informationen finden Interessierte auf der Website www.komm-auf-tour.de


Fussnoten

1 Die Reisebegleitungen durchlaufen mit einer »Reisegruppe« von Jugendlichen den Parcours. Für jede gezeigte Stärke erhalten die Jugendlichen von ihnen entsprechende Aufkleber.

Autoren

Anke Erath
Anke Erath ist Diplom-Pädagogin. Sie ist Leiterin des Referats Familienplanung und Verhütung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Kontakt:
anke.erath@bzga.de

Dr. Christin Krajewski
Dr. Christin Krajewski ist Public Health Professional (MPH) und Kulturpsychologin (M.A.). Sie ist Referentin im Referat Familienplanung und Verhütung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Kontakt:
christin.krajewski@bzga.de

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